Bild Inken Weiand

Schatten über Elfenland

Carla Benara

Buch-Cover Schatten über Elfenland

Erscheinungs­termin Frühjahr 2011.

Schatten über Elfenland

Personal Novel

Die beiden jugendlichen Protagonisten von ‚Schatten über Elfenland’ sind von den Eltern zu einem Wanderurlaub verdonnert worden, was ihnen gar nicht gefällt. Statt zu wandern, bleiben sie im Hof der Pension. Wie gut, dass es wenigstens MP3-Player und Sudokus gibt! Sonst wären diese Ferien wohl gar nicht auszuhalten! Da begegnet ihnen eines Tages der merkwürdige Tanderil.

Er trägt mitten im Hochsommer eine Strickmütze auf dem Kopf, mit der er seine Ohren bedeckt, hat noch nie von MP3-Playern gehört und behauptet, der Sohn des Elfenkönigs zu sein und von einem bösen Zauberer verfolgt zu werden.

Doch erst, als Tanderil plötzlich spurlos verschwindet, wird den Kindern klar, dass er die Wahrheit gesagt hat. Und dass es jetzt ihre Aufgabe ist, ihn zu retten.

Ein fantastischer Roman, ab 10 Jahre

Leseprobe

Als sich die Kinder am nächsten Tag wieder auf dem Spielplatz niederlassen, ist Anne bereits voller Unruhe. „Meinst du, er kommt wenigstens heute?”

„Klar kommt er heute”, brummt Michael. „Der hat bis jetzt noch keinen Tag ausgelassen. Er hat noch viel weniger als einen Tag ausgelassen.”

„Außer gestern”, meint Anne. „Gestern Nachmittag ist er nicht mehr gekommen.”

„Der war beleidigt. Weil wir ihm seine Märchen nicht abgenommen haben.”

„Glaubst du?”

Michael nickt. Natürlich wird der Junge heute wieder kommen.

Und natürlich hat er den Geschwistern nur Blödsinn erzählt.

Warum auch immer. Aber dass es Blödsinn war, das war ja wohl für den Blindesten klar!

Doch wer nicht kommt, ist Tanderil. Die Eltern gehen, die Kinder sitzen immer noch auf dem Spielplatz, zur Abwechslung wieder einmal ganz oben auf dem Klettergerüst. Doch Tanderil kommt nicht.

Anne löst seitenweise Sudokus. Michael wird immer schneller in seinem Schießspiel. Paff, paff, paff.

Sie wechseln wieder einmal von ‚Du bist mein Frosch’ auf ‚Being strong’. Von Tanderil immer noch keine Spur.

Anne wird unruhig. „Wo er nur bleibt?”

„Wer?”

„Na, Tanderil!”

„Ach, der kommt schon noch!”

Aber Tanderil kommt nicht.

Er kommt auch nach dem Mittagessen nicht. Immer ungeduldiger sieht sich Anne nach ihm um.

„Was ist?” Michael fällt auf, wie unruhig seine Schwester ist. Immerhin hängt er am anderen Ende des MP3-Player-Kopfhörers.

„Meinst du, er kommt jemals wieder?”

„Na klar.”

„Er war eigentlich ein netter Kerl. Wenn er auch komisch war.”

„Du sprichst, als wäre Tanderil tot.”

„Ist er ja vielleicht auch.”

„So ein Blödsinn! Der sitzt irgendwo quietschvergnügt herum und spielt mit seiner Spielkonsole.”

Anne schüttelt entschieden den Kopf. „Das tut er ganz bestimmt nicht! Der weiß überhaupt nicht, was eine Spielkonsole ist.” Und in dem Moment, in dem sie das sagt, weiß sie auch, dass sie recht hat. „Der kennt doch nichts. Der kennt kein Sudoku, kein Handy und kein Freundschaftsbuch. Wie soll er da eine Spielkonsole kennen?”

Michael nickt. „Kann sein. Dann sitzt er eben quietschvergnügt herum und strickt.” Er überlegt eine Weile. „Was hat er dir eigentlich in dein Freundschaftsbuch hineingeschrieben?”

„Ich weiß nicht. Irgend so ein Gedicht. Das meiste hat er nicht ausgefüllt.”

„Was für ein Gedicht?”, erkundigt sich Michael, wendet sich dann aber wieder dem Handy zu. „Ach, ist auch egal. Der kommt schon. Unkraut verdirbt nicht, sagt meine Lehrerin immer.”

„Woher will die das denn wissen?” Anne erhebt sich, springt mit einem eleganten Satz in den feinen Sand, der unter dem Gerüst liegt.

„Hey, wo willst du hin?”

„Das Freundschaftsbuch holen.”

Kurze Zeit darauf sitzen die beiden nebeneinander auf der Bank.

Anne blättert in ihrem Freundschaftsbuch. „Hier ist es.”

Silbern glitzern die Buchstaben im Sonnenlicht, fast, als wollten sie es widerstrahlen. ‚Tanderil’ steht am Anfang der Seite. Und dann, ganz am Schluss:

Wo Rosen duften mild und weich,
ist Elfenkönigs Königreich.
Der König herrscht mächtig über fern und nah,
die Königin ist schön, wie kein Mensch je es sah.
Sein Volk liebt den König auf seinem Thron,
doch er liebt Tanderil, seinen einzigen Sohn.

„Komisches Gedicht”, brummt Michael. „Der Junge scheint wirklich unter seltsamen Einbildungen zu leiden.”

Anne nickt nachdenklich vor sich hin. „Das Alter. Die Sache mit dem Zauberer. Und dann, wenn ich es richtig verstehe…”

Michael grinst. „Prinz Tanderil. Elfenprinz Tanderil. Stell dir das mal vor!”

Anne starrt vor sich hin. „Er sprach seltsam. Etwas altertümlich. Etwas gestelzt.”

„Und dann diese unmögliche Mütze!” Michael prustet los. „Die er immer über die Ohren zieht.”

„Über die Ohren…” Anne setzt sich plötzlich aufrecht. „Michael, meinst du… ach du meine Güte! Könnte es sein…” Sie stottert nur noch.

„Was ist denn jetzt schon wieder los?”

Anne sieht ihren Bruder an. „Was haben Elfen für Ohren? In den Geschichten, meine ich?”

„Na, so spitze Ohren eben. Wie Fledermäuse vielleicht.”

„Könnte es nicht sein – nur so theoretisch –, dass der Junge gar keine Hirngespinste hat? Dass er wirklich ein Elfenprinz ist? Dass es bei ihm zu Hause eben keine Handys und Freundschaftsbücher gibt? Dass er deshalb so komisch gesprochen hat? Und dass er seine spitzen Ohren unter dieser unmöglichen Mütze versteckt hat?” Aufgeregt beugt sie sich vor. „Was meinst du?”

Michael verzieht das Gesicht. „Was erzählst du mir denn da für Zeug? Obwohl… Es würde natürlich einiges erklären. Wer weiß, wie alt Elfen werden. Und wann sie erwachsen werden. Und wie sie miteinander reden. Es wäre immerhin eine Erklärung. Nur, was diesen Zauberervogel angeht…” Er stockt.

„Ja?”

„Dann hätte er wahrscheinlich auch damit recht. Dann gäbe es diesen Zauberer wirklich.”

„Und der hätte ihn womöglich gefangen! Tanderil hatte eine solche Angst. Und er ist wirklich lange nicht hierher gekommen. Viel länger als sonst!”

„Womöglich hat ihn dieser Zauberer doch erwischt!”

„Und er ist jetzt gefangen – oder tot!”

„Weil wir ihm nicht geholfen haben!”

„Wir müssen etwas tun!”

„Aber was?”

Ratlos sehen die Geschwister einander an.

„Sag mal, woher kam Tanderil eigentlich immer?”, fragt Michael.

„Von irgendwo da beim Rosenstrauch”, überlegt Anne.

„Dann lass uns dahin gehen. Vielleicht finden wir ihn.”

Die Kinder ziehen sich ihre festen Schuhe über, dann noch jeder eine Jacke. Das Handy, den MP3-Player und den Sudokublock stecken sie in ihre Taschen. Und dann stehen sie am Rosenstrauch. „Hier kann man nirgendwo hingehen”, stellt Michael enttäuscht fest.

„Höchstens in dieses Gestell da hinein.”

Zögernd macht Anne einen Schritt nach vorne. Mit einem Mal ist es ihr, als sacke der Boden unter ihren Füßen weg. Sie greift nach Michaels Hand. Und plötzlich beginnt sich alles um die beiden zu drehen.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Personal Novel Verlags